Der Dieb






Während einer längeren Zugfahrt bekam ich Lust auf Kaffee.
Ich nahm das Portemonnaie aus meiner Jacke und ging zum Speisewagen. Tür auf, Tür zu, der Weg war länger als ich dachte.
Schnell den Kaffee bestellt, bezahlt, eilig zurück. In mir kam mit der Zeit ein Unwohlsein auf, wegen der zurückgelassenen Sachen im Abteil. Noch wenige Minuten bis zum nächsten Halt. Die Sorge um mein Eigentum sowie diese vielen blöden Türen hatten alle Freude über den Kaffee in Luft aufgelöst.

Endlich am Platz angekommen, lief es mir kalt den Rücken runter. Mein Gegenüber, ein junger Mann, mein Rucksack, meine Jacke, waren weg. Ich stand da, wie angewurzelt. Dem Dieb schickte ich erst mal alle Verwünschungen hinterher, die mir auf die Schnelle in den Sinn kamen.
Einige Leute im Abteil guckten mich recht eigenartig an. Kein Wunder, denn mein Gesichtsausdruck versprach nichts Gutes. In dem Moment machte ich meinem Sternbild "Stier", wohl alle Ehre.
Retten, was zu retten ist, ich nahm die Verfolgung auf, stürzte durch zwei bis drei Abteile, nun hatte ich ihn.
Da saß er, lächelte mich an, fragte ob der Kaffe gut sei. Der Rucksack und die Jacke waren auch da. Zum Glück konnte ich meinen Gesichtsausdruck in dem Moment selbst nicht sehen. Ich hatte mich im Abteil geirrt.
Völlig geschafft plumpste ich auf den Sitz, schaute aus dem Fenster, schlürfte den Kaffee. Angst, Vorurteile und Misstrauen hatten mich voll im Griff. Für Momente war ich nicht mehr ich selbst.

Aus heutiger Sicht bin ich froh und dankbar für dieses Erlebnis.
Es hat mir sehr deutlich gezeigt, was ich im täglichen Leben still und leise ständig getan habe sowie punktuell noch tue. Menschen beurteilen, die ich nicht kenne, die mir nicht in den Kram passen. Durch übernommene Vorurteile mein Gegenüber zu dem zu machen, was ich von ihm denke.

Das ist arrogant und vergiftet unser Miteinander. Vorurteile sind die Quelle unerschöpflichen Übels, verbreiten Dunkelheit, erfüllen uns mit negativer Energie. Diese Energie strahlen wir dann in unsere Umgebung aus. Da kann es nicht wundern, dass das Misstrauen sich ausbreitet.

Dazu ein Vers aus dem Matthäusevangelium (Kap.:7, 1-2) : Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.
Übertragen in die Alltagssprache:
So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
Alles was wir an positiver oder negativer Energie aussenden, kommt zu uns zurück.
Würden wir das ganze Be- und Verurteilen lassen, wäre uns allen wohler. Keiner hätte mehr die bedrückenden Gedanken:
Na, was der / die jetzt wohl über mich denken?
Erteilen Sie Ihren Vorurteilen eine fristlose Kündigung, geben dem Gefühl in Ihrem Inneren wieder Raum, dann werden positive Gedanken Sie erfüllen. Sie werden positive Signale in Ihre Umgebung aussenden und empfangen.
Keine Angst, vor den wirklichen Übeltätern warnt Sie ab jetzt Ihr Gefühl.
Bedenken Sie, Vorurteile bewahren nicht vor Übeltätern. Vorurteile können einen selbst zum Übeltäter machen.
Vorurteile geben auch nicht so schnell auf. Machen Sie Ihren Vorurteilen beständig klar, dass die Kündigung fristlos war.
Seit meiner Zugfahrt bin ich nicht völlig frei von Vorurteilen, aber sie haben mich nicht mehr im Griff. Das macht mein Dasein reicher und freier.
Schreiben Sie doch mal alle Vorurteile auf, die Ihnen einfallen. Nehmen dann den Zettel, schmeißen ihn in' s Klo und betätigen die Spülung.

Viel Spaß dabei!


Axel Dorr